Offener Brief für die Rücknahme der Strafanträge der Universität zu Köln gegen Palästina-solidarische Protestierende
Die Universität zu Köln stellt Strafanträge wegen friedlichem Protest. Unterstütze den Erhalt von Protesträumen an der Uni mit deiner Unterschrift.
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Sehr geehrter Herr Prof. Mukherjee, sehr geehrte Prorektor*innen,
die Welt erscheint unsicherer denn je. Zahlreiche Entwicklungen verunsichern und beschäftigen uns. Hierzu zählt auch die andauernde Gewalt im Nahen Osten, deren Auswirkungen schon jetzt weltweit spürbar sind und die das Potential hat, weiter zu eskalieren und alle Konfliktparteien tiefer in die Gewaltspirale zu ziehen.
Die seit mehr als einem Jahr andauernde Bombardierung und Blockade Gazas durch die israelische Armee haben eine katastrophale humanitäre Lage für die 2.5 Millionen Bewohner*innen Gazas hervorgebracht. Fast drei Monate lang hat Israel die Einfuhr von Lebensmitteln, Wasser, Elektrizität und Hilfsgütern unterbunden und hat jüngst Pläne verlauten lassen, Gaza unter Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung dauerhaft zu besetzen. Die Stadt Rafah, die einst 1.5 Millionen palästinensischen Geflüchteten Schutz geboten hat, ist vollkommen zerstört. Über 15.600 Kinder sind seit Oktober 2023 getötet worden, eine ganze Generation ist traumatisiert. Seit diesem Jahr beheimatet Gaza die größte Gruppe an amputierten Kindern weltweit und durchlebt die größte Waisenkrise der Geschichte. Zahlreiche Berichte der Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International prangern kollektive Bestrafung und das gezielte Aushungern der palästinensischen Zivilbevölkerung an.
Überall auf der Welt regt sich gegen diesen unhaltbaren Zustand Protest, weltweit erheben Menschen ihre Stimmen für einen gerechten Frieden und drücken ihre Solidarität mit den Menschen in Palästina aus. Auch in Deutschland regt sich Widerstand. Viele junge Menschen sind darüber entsetzt, dass die deutsche Regierung das israelische Vorgehen noch immer bedingungslos unterstützt, und dass öffentliche Institutionen, Medien und Universitäten sich weigern, die Lage in Gaza anzuprangern und sich für ein Ende der Gewalt gegen die Menschen dort einzusetzen. Wie so oft standen und stehen Studierende an der Spitze dieser Protestbewegung. Angesichts der Zerstörung aller Universitäten Gazas und der fortgesetzten deutschen Untätigkeit und militärischen Unterstützung sind zahlreiche Studierende in Deutschland fassungslos.
So auch an der Universität zu Köln, die Schauplatz zahlreicher Kundgebungen und Aktionen wurde. Im Sommer 2024 entschied sich eine Gruppe von Aktivist*innen und Studierenden verschiedener Universitäten, symbolisch den Eingang des Hauptgebäudes zu blockieren. Ihre Forderungen: Die seit Monaten in Deutschland überfällige Diskussion über Verhältnismäßigkeit und Humanität in Gaza, ein offener Dialog, die Anerkennung palästinensischen Leids, das Hinterfragen der Partnerschaften zu israelischen Institutionen mit Verbindungen zum israelischen Militär und die Rücknahme der Ausladung der jüdischen Wissenschaftlerin Nancy Fraser.
Ein solches Gespräch kam jedoch nicht zustande, da das Rektorat das Gespräch der Öffentlichkeit entziehen wollte. Es kam zu einem Polizeieinsatz, um die Blockade aufzulösen. Es folgten strafrechtliche Ermittlungen und Verfahren gegen elf der Protestierenden wegen vermeintlicher Nötigung und Hausfriedensbruchs, wofür die Universität Strafanträge stellte.
Dass es so weit kommen musste, finden wir zutiefst bedauerlich. In einer zunehmend polarisierten Gesellschaft sind Räume der Diskussion und der freien Meinungsäußerung zu politischen Themen unverzichtbar. Dass Protestierende aufgrund eines Strafantrags der Universität nun vor Gericht stehen, zerrüttet das universitäre Zusammenleben. Es drohen zudem hohe Geldstrafen; politisches Engagement wird hierbei heftig sanktioniert.
In diesem Kontext ist es unverzichtbar, auf die Rolle von studentischem Protest und zivilem Ungehorsam aufmerksam zu machen. Es waren in der Geschichte oft die Studierenden, die gegen Unrecht und Unterdrückung auf die Straße gegangen sind, wie etwa die Studierendenbewegungen gegen die Kriege in Vietnam oder Irak. Universitäten waren und sind Austragungsorte politischer Konflikte und unweigerlich wird auch der Protest den universitären Alltag aufwühlen. Widerstand wird in dieser oder jener Form stets die Gemüter erregen, schließlich wäre er sonst weder wirkungsvoll noch beachtenswert. Protest hat eine gesellschaftliche Funktion; er richtet sich nicht nur an die Verantwortlichen in Staat und Politik, sondern auch an das eigene Umfeld. Er stellt nicht nur einen Appell dar, sondern ist gleichzeitig kommunikativer Akt.
Es erscheint nachvollziehbar, dass diese Versuche drängender werden, desto weniger Raum für freie Diskussion eröffnet wird. Insbesondere um die deutsche Unterstützung für Israels Krieg gegen Gaza und die Repression kritischer Stimmen herrschen in der Öffentlichkeit, im Wissenschaftsbetrieb und an der Universität zu Köln in weiten Teilen Schweigen. In überregionalen Medien und öffentlichen Stellungnahmen finden sich selten bis gar nicht die Perspektiven von palästinensischen Menschen.
Dass Studierende uns auf das Leid in Palästina aufmerksam machen wollen, ist nachvollziehbar und legitim. Nur zu gut erinnern wir uns an die Bildungsproteste in den 2000er Jahren, in denen auch Hörsäle besetzt und studentischer Protest an der Universität laut wurde.
Ist die Universität nicht der Ort, an dem kritisches Denken und Handeln gelehrt werden soll? Ein Ort, an dem ein offener Diskurs stattfinden kann und diesem nicht mit Ignoranz und Repressionen begegnet wird? Wir erinnern an die hohe Bedeutung kritischer Lehre und Wissenschaft, gerade im Kontext einer erstarkenden Rechten und einer Zuspitzung globaler Konflikte.
Aus diesen Gründen appellieren wir an die Verantwortlichen an der Universität zu Köln:
Ziehen Sie die Strafanträge zurück! Hausfriedensbruch ist ein absolutes Antragsdelikt und wird nur verfolgt, wenn der Betroffene (in diesem Fall die Universität) dies durch das Stellen eines Strafantrags veranlasst. Diese Strafanträge können bis zum Abschluss der Strafverfahren zurückgenommen werden. In diesem Fall wäre das Delikt des Hausfriedensbruchs zwingend kein Teil der Verfahren mehr, nur noch das der Nötigung, da diese unabhängig von einem Strafantrag verfolgt wird (Offizialdelikt). In den bereits gelaufenen Verfahren hat das Gericht die Nötigung allerdings mangels Nötigungserfolg abgelehnt. Der Tatbestand der Nötigung ist demnach hinsichtlich der Protestaktion vom 4. Juli nicht erfüllt, da das Betreten und Verlassen des Hauptgebäudes durch verbleibende offene Eingänge jederzeit möglich war. Es ist höchstwahrscheinlich, dass das Gericht in den weiteren Verfahren zur selben Einschätzung kommen wird, sodass realistisch nur Verurteilungen wegen Hausfriedensbruchs in Frage kommen. Diese kann die Universität verhindern, indem sie die Strafanträge zurücknimmt.
Es liegt in Ihrer Hand! Ziehen Sie die Strafanträge zurück.
Erkennen Sie das Diskussionsangebot an. Öffnen Sie sich für den kritischen Diskurs. Lassen Sie uns gemeinsam durch Debatte stärker werden.
Ob von Gruppen, Lehrenden, Studierenden oder Externen – wir freuen uns über jede Unterschrift, denn als öffentliche Institution hat sich die Universität vor der Gesellschaft zu verantworten.
Erstunterzeichnende Gruppen
- Studierendenparlament der Universität zu Köln
- Arbeitskreis kritischer Jurist*innen Köln
- Studis gegen Rechts Köln
- Kritische Medizin Köln
- Autonomes BIPoC-Referat der Uni Köln
- Sozialistisch-Demokratischer Studierendenverband (SDS) Köln
- Wendepunkt – Sozialist*innen und weitere Aktive an der Köln
- Campus:grün Köln
- Fachschaft Physik, Uni Köln
- Fachschaft Medizin, Uni Köln
- Fachschaft Regionalstudien Lateinamerika, Uni Köln
- Fachschaft Sprachen und Kulturen der islamisch geprägten Welt, Uni Köln
- Camp for Palestine Köln